stadt_ohne_sonne

Die Sonne stand blutrot am grauen Himmel, die Stadt lag weiß und unbeirrt unter der Weiten der Wolken. Sie regte sich nicht, die Statdt, war ein Vakuum, keine Natur, abgeschlossen, eine Insel, weiß und schimmernd und vom Sonnenaufgang überschattet.

Der sehr geehrte Herr S. sah die Spiegelung auf seinem Monitor. Sie störte ihn, die rote Sonne, den sehr geehrten Herrn. Er sah langsam auf, drehte sich um, fühlte sich von der Sonne geblendet, grelles blutrotes Ding, stach ihn in die Augen, spiegelte sich tausendfach in den Dächern der weißen, schillernden Stadt, die groß war und stark und wie ein abgeschlossener, stiller See mit Ufern, die in die wilde Natur übergingen.

Er, der Herr S., sehr geehrt, sah in die Sonne, die rot war, blutrot, glutrot.
Es war das schönste, was er sah in seinem kurzen Leben, und es war das letzte.
Herr S. erblindete an der Schönheit der Sonne, er, der Geehrte, er, der durch seine Blindheit wohl noch mehr geehrt werden könnte, da er den Anschein erweckte, als hätte er sich schnell mit ihr abgefunden, er, der sie nie ganz begriff.

Er, Herr S. nannte man ihn und er wurde geehrt, sah auf seinen Monitor, er sah auf seinen Computer, und alles war schwarz. Schwarz, und Herr S. dachte, dass diese Farbe hervorragend zu den weißen Dächern der Stadt und der ziemlich roten Sonne passen würde.
Doch es störte ihn, den Geehrten, dass sein Computer so kaputt war. Er würde sich beschweren müssen. Das war keine Qualität. Immer das Gleiche. Technik. Pah.
Die Sonne würde nie kaputt gehen, sie war schön, sie hatte Qualität, sie war so schön, zu schön, als das sie ihn verzeiht hätte, wenn er nicht nochmal zu ihr sah.
Das Licht war aus, die Sonne sollte brennen, sollte scheinen und leuchten, glutrot, am grauen Himmel, über der Stadt. Er wollte sie sehen.

Herr S. hörte eine Stimme, und er hörte sie zum ersten Mal. Sie klang klar, ein wenig dunkelblau bis elfenbeinschwarz, doch klar und verständlich, und sie formte die Worte „Guten Morgen. Du warst diese Nacht aber schon schlafen, oder?“
Der Geehrte, Angesprochene folgte den Worten mit dem Kopf, seine Ohren ertasteten ihre Quelle. Die Stimme musste seine Tochter sein.

Herr S. bejahte die Frage, natürlich war er das, natürlich hatte er diese Nacht schon geschlafen.
Er sah sie an, und sie sah ihn an, und er fragte, ob sie das Licht anmachen könnte. Die Tochter sagte „Du spinnst“, er fühlte einen warmen Lufthauch, sie ging frühstücken und ließ ihren Vater, den sie nicht ehrte, den sie angesprochen hatte, Herrn S., warten, dass sie die Haustür von außen betrachten werde. Sie würde in der weißen Stadt wandeln und sich von der Sonne geblendet fühlen.

Ihr Vater, der Geehrte, wollte sich seinem Computer widmen, er war nicht müde, er hatte vor zwölf Stunden das letzte Mal sein Bett gesehen, er war nicht hungrig, er war nicht durstig, er war zufrieden und wollte sich mit seinem Computer beschäftigen, so, wie man das machte.
Die Haustür fiel ins Schloss.

Der Monitor war farblos geworden.
Der Computer auch, er war weg, weg, durchsichtig. Herr S. verfluchte sie, die Geräte, die Technik, Scheusal, Qual in seinem Hirn.
Es war dunkel und es war Nacht, aber orangene Fäden zogen sich durch das Schwarz. Den geehrten Herrn S. störte es nicht, dass er jetzt keine Beschäftigung mehr hatte, es störte ihn nicht, das sein Computer und sein Monitor nicht mehr funktionierten, nein, er störte sich daran, dass das Gesamtbild gestört war, die feinen, orangenen Fäden prallten schmerzhaft an einem Rechteck von Nichts ab.

Herr S. konnte den Anblick nicht vertragen und drehte sich um. Er sah die Sonne, sie war purpur, das war schön. Um die Sonne war ein gelber Schleier gelegt. Und aus der Sonne strömten die Fäden, wie die Magnetfeldlinien aus der Erde. Das alles gefiel Herrn S. außerordentlich gut. Er war beeindruckt, der Geehrte, es war schön und es war gut, und er war glücklich, der Blinde, weil er sah, auch wenn er sich nicht im Klaren darüber war, was er sah, und was er richtig gemacht hatte, das ihm solch eine Wonne vergönnt war.