tofu_mit_theodor

Wenn sie sich auf die Waage stellt, dann nackt.
Bei schicken Abendessen zieht sie ihr kleines Schwarzes an.
Seit drei Jahren macht sie Friss-Die-Hälfte. Man kann ihr unterstellen, dass sie krank ist. Vielleicht ist sie das. Irgendwann isst sie nicht mehr. Und dann ist sie nicht mehr.

Sie hat einen Neuen, er heißt Roland, Roland ist sportlich und kein schöner Name, weswegen sie ihn Theodor nennt.
Sie mag schöne Namen und Theo hasst es, wenn sie ihn so nennt.
Er geht jede Woche ins Fitnessstudio, doch das ist nichts für sie. Sie spaziert in ihre lila Lieblingsläden und probiert schwarze enge Kleider an, die sie bei schicken Abendessen tragen will.
Theo sagt, sie soll sich lieber einen schwarzen Rolli anziehen.
Theo ist Vegetarier, Baumschützer und Unicef-Aktivist.
Außerdem Sportler. Noch nie einen Titel bekommen. Dafür isst er zu wenig Fleisch. Und kein Tofu, denn sie hat Geschmack und will solche weißen Batzen nicht im Kühlschrank stehen sehen.
Sie isst Salat, wenn sie isst.
Er ist Vegetarier.

Jahre vergehen, Roland wird Ingo genannt und hat eine Neue.
Sie zieht sich einen schwarzen Rolli an, kauft Tofu und sieht zu, wie er schlecht wird.
Tofu hält lange.
Manchmal stellt sie ihn in die Sonne, damit es schneller geht.
Doch das bringt nicht viel, denn sie kauft neuen Tofu. Die Verkäufer wundern sich. Sie macht einen Tofu-Plantage, zerschneidet die weißen Batzen genüsslich und angeekelt, zerkrümmelt.
Stellt in die Sonne.
Wird schlecht, wird weggeschmießen, wird neu gekauft.

Jahre später.
Weißer Tofu in schwarzem Rolli.
Sie bekommt Falten und wirft ihm vom Balkon, denn ihr Freund wird Kasimir genannt (ehemals Ingo) und hasst Tofu.
Sie findet das verständlich und wirkt ein bisschen blass.
Ihre Psychologin stellt die Diagnose, dass sie nur Tofu-hassende Menschen lieben kann. Ab diesem Zeitpunkt koppelt sie sich in gewissenhaften Schritten von ihrer Familie ab.
Kasimir komt und geht, und sie genießt es, dass sie nicht weiß, wohin. Anonymität schreibt sie ganz groß. Sie fragt nicht nach dem Namen der Person, die ihren Rolli zurückbringt.
Kasimir ist fett, und da sie keine Veränderung an ihm bemerken will, stellt sie die Diagnose, dass er nicht ins Fitnessstudio geht.
Wenn sie an diesem vorbeigeht, trifft sie manchmal Ingo. Ehemals Roland. Der gute Theodor,
Theo der Erste.
Zwei sollen folgen.
Beide werden Tofu hassen.
Die Psychologin wird sie wechseln.
Mit Kasimir geht sie zu ihrer alten, denn er ist nicht nur fett, sondern auch dumm. Man geht nicht nach so kurzer Zeit mit seiner neuen Freundin zum Psychologen.
Und schon recht nicht mit seiner neuen Freundin in einem schwarzen Rolli.
Die Psychologin rümpft die Nase, bittet um ein Einzelgespräch mit Kasimir, redet mit diesem eine halbe Stunde, holt seine Freundin wieder herein und verkündet, dass die beiden das ideale Paar sind.
Kasimir ist glücklich.
Zwei Tage später trennen sie sich.

Stunden später. Sie setzt Bauchspeck an. Ist nicht deprimiert, hat aber ihre Diät kurzzeitig unterbrochen. Wirft schwarze Rollis vom Balkon, die weiße, Tofu-verdächtige Punkte haben. Hat den Gefallen an der Anonymität abgeschrieben.

Sie freundet sich mit Theo II an, der ihren Rolli wöchentlich zurückbringt. Theo heißt wirklich Theo, mag Tofu, schwarz, weiß, Schwarz-Weiß-Malerei und Kunst. Er ist alternativ, unterscheidet sich jedoch von Roland in seiner Sportlichkeit. Wenn er weggeht, sagt er ihr vorher Bescheid, wohin, sie hasst das, und er weiß das.

Jahre später: sie und Theo II sind immer noch glücklich.
Sie findet das bodenständig und sucht sich Theo III, denn Bodenständigkeit war noch nie etwas für sie.

Theo weint und zieht aus.
Theo III liebt Sport, hasst Kunst, mag Tofu, verabscheut fette Menschen und zeigt seine Meinung sehr deutlich.
Sie ist zwar wieder fast so dünn wie früher, erreicht mit bewährter Diät, doch nächtliche Fressattacken machen ihr zu schaffen.
Er arbeitet beim Bund und heißt eigentlich Kasimir.
Sie beschäftigt sich mit der Malerei von Stilleben. Stilleben mit schwarzem Rolli, weißen Tofu und Tofu-Glas. Das Glas, findet sie, ist am schwierigsten zu malen. Sie sagt es Theo III.
Er meint, sie reden ganz schön oft aneinander vorbei.
Sie überlegt, ob sie eine Galerie eröffnen sollte. Platz hätte sie ja.
Theo III fühlt sich störend und geht.

Jahre später.
Sie sitzt zuhause und ist alleine.
Ihre Tofu-Bilder verkaufen sich nicht.
Die Galerie musste geschlossen werden.
Der Rolli verschimmelt im Garten. Sie hat niemanden, der ihn wieder hochholt.
Für eine Beziehung findet sie sich zu kompliziert.
Sie sitzt da und wird fett.
Denkt an den sportlichen Roland. An den geheimnisvollen Ingo.
Erinnert sich an den alternativen Theo und an Kasimir, von dem sie gar nicht mehr weiß, von was er eigentlich geredet hat, wenn der Tag so lang war.
Sie zieht Röcke an, man sieht ihre dicken Waden.
Die neue Psychologin stellt die Diagnose, dass sie Kummer hat. Sie sieht das nicht so, kündigt, bleibt zuhause und malt, den Pizzaservice findet sie charmant.
Kleine Kindern starren sie an, wenn sie aus dem Haus geht.
Sie wird alt, ächzt und stirbt.