d_ich_text_freunde

Tag und Nacht ist er da. Solange, wie ich lebe, ist er bei mir. Schon damals bei meiner Geburt – ich bemerkte ihn, doch er begriff sich selber noch nicht. Irgendwann war klar, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen muss. Erst mit meinem Tod bin ich von ihm erlöst, und er von mir. Doch ich sehne das Ende nicht herbei, obwohl ich ihn oft verfluche. Dann versteht er sich selber nicht mehr, oder vergisst etwas. Z.B. in einer Arbeit, die ich schreibe – warum weiß er die Lösung nicht mehr? Ist er echt so schwach?
Anderseits bin ich echt auf ihn angewiesen. Und er auch auf mich. Er macht die Theorie – ich die Praxis. Er stellt Thesen und Ideen auf, die ich dann überprüfe und umsetzte. Hätte er mich nicht, wären seine Pläne wertlos. In der ganzen Zeit sind wir ein eingespieltes Team geworden, und ich genieße die Zusammenarbeit mit ihm sehr. Ich möchte nicht mehr ohne ihn sein, das wollte ich nie. Er ist der, der mich am besten versteht, besser noch als meine Familie und Freunde. Er verursacht mein Lachen und Weinen. Ohne ihn wären meine Augen blind, meine Ohren taub, meine Lippen stumm.
Doch er kommt auch gut ohne andere Menschen zurecht, er braucht nur mich. Sein einzigstes Ziel ist, für mich da zu sein. Er wurde ins Leben gerufen, weil ich geboren wurde. Er weiß, dass ich ihm dankbar dafür bin.
Manchmal hat er Probleme. Ich sehe ihn mit sich selbst kämpfen. Er hat mehrere Seiten, die unterschiedliche Ratschläge an mich geben wollen. Er trifft Entscheidungen für mich, jeden Tag, jede Minute. Er fragt sich oft, was er mit mir tun soll. Ich schaue stumm zu, sehe ihn leiden. Er ist auf sich selbst gestellt, ich kann ihm nicht helfen. Er weiß, dass mir das leid tut.
Oft freut er sich. Dann hab ich etwas gut gemacht und er ist mit dem Resultat zufrieden. Wenn sich meine Finger auf dem Klavier so bewegen, dass es schön klingt. Wenn meine Hand den Stift so bewegt, dass ganz nett aussieht. Er weiß, dass ich dann auch glücklich bin.
Doch ich kann ihm dass alles nicht zeigen. Ich bin nur die Hülle, die Verpackung, der Überraschungseffekt. Mit mir muss er auskommen und das Beste daraus machen. Diesen Text hat er sich erdacht – und ich hab ihn aufgeschrieben.
Er mag sich so, wie er ist. Und ich mag ihn auch. Das weiß er.